Micky Schiller ist Gitarrenlehrer und „absoluter Gitarren-Effekt-Junkie“. Er hat im Oktober 2011 einen unserer ersten Red-Secret-Prototypen getestet. Nach einigen Wochen Ausprobieren schickte er uns folgenden Text per E-Mail.
Es gibt diese Tage, da passiert einfach ganz genau gar nix. Man wird zwar immens beschäftigt, aber wirklich verändern tut sich nichts. Diese Tage sind in der eindeutigen Mehrzahl, und das ist auch gut so.
Denn dann gibt es da noch diese anderen, sehr seltenen Tage, an denen verändert sich plötzlich etwas radikal, kataklystisch, für immer. Diese Tage müssen nicht laut und dramatisch verlaufen, denn oft kommt das Schicksal auf leisen Sohlen und in unscheinbaren Formen.
Dieses Mal in Gestalt einer flachen, kleinen roten Metallkiste mit gebürsteter Metallpaneele, einer roten Leuchtdiode sowie drei Reglern, die, gemeinsam mit der geprägten futuristisch-„ostblockigen“ Beschriftung, Assoziationen an den Elektro-Style der 60er und 70er Jahre, bzw. deren Studios und Stereoanlagen wach werden lässt. Sie hört auf den Namen „Red Secret“ und stammt aus dem Hause „Secret Audio“.
Die Funktionalität leidet unter der anspruchsvollen Optik nicht, im Gegenteil: Alle drei Potiknöpfe sind auch von weitem (für den Autor: Bodenweite) selbst für Maulwürfe (wie ihn) gut ablesbar, die rote LED ist deutlich zu sehen. Die Beschriftung ist es nicht, aber dessen bedarf es bei drei Knöpfen, die auch noch logisch aufgebaut sind, wohl auch kaum: Der linke zeichnet für den Verzerrungsgrad, der Mittlere für die Klangfarbe und der rechte für die Lautstärke verantwortlich.
Oben an der Stirnseite des Pedals sitzen beide Klinkenbuchsen für ein- und Ausgang, in der Mitte der Netzanschluss, der sich wahlweise mit 9-15 Volt befeuern lässt. Ich teste zunächst einmal mit handelsüblichem Boss-Netzteil bei 9 Volt vor meinem Fender Deluxe Reverb.
Aber zuvor wundere ich mich darüber, dass an dem Kistchen doch etwas fehlt: Äh, wo bitte ist der An/Aus-Schalter!? – Mal die Potis drehen und gucken, ob eines in Minimalstellung einrastet… hmm, nö. Einmal angeschlossen ist es eingeschaltet, „Aus“ ist nicht vorgesehen. Und das hat auch einen guten Grund, wie mir sehr schnell klar wird, nachdem ich es, zunächst mit der Strat, in Betrieb nehme.
Der Gain-Regler führt uns nahtlos von leichten, subtilen Semi-Clean-Zerrfarben durch schmatzenden Crunch hinein in vollmundigen Hi-Gain, das aber immer transparent, extrem dynamisch und bestens mit Anschlag und Volumen der Gitarre zu kontrollieren ist. Letztgenanntes Feature ist es auch, was den On/Off-Switch überflüssig macht: Das Pedal reagiert perfekt aufs Volumen-Poti und bietet bei Vollaussteuerung von benanntem „fast Clean“ bis „Brett“ einfach alles, von Hendrix und SRV über Knopfler Southern Rock bis zu Blackmore und 80er Metal sind die Ikonen der Stratocaster vollkommen nachzuempfinden.
Dabei herrscht allerhöchste Klangkultur, in der Tat wird hier nichts verbogen, selbst wenn der höchst effektive Tonregler ins Spiel kommt: Bei Linksanschlag gibt’s Bass satt, High Noon sind Höhen angesagt und ganz rechts gibt es die Extraportion Dumble-Mitten. Die dadurch entstehenden Regelmöglichkeiten sind einfach atemberaubend, ob nun im Spannungsfeld zwischen Bässen und Höhen oder Höhen und Mitten, hier findet jeder seinen Traumsound. Ach, was sag ich: Traumsounds, denn das rote Geheimnis ist kein „One-Trick-Pony“, sondern bietet massiv Klangfarben von bestechendem Praxiswert.
Schon sehr schnell drängt sich mir eine Assoziation auf, ich muss an den Duotone-Amp von Hughes & Kettner denken, für dessen Sound- wie Schaltungsdesign der begnadete und bestens bekannte Dirk Baldringer sorgte. Der „Red Secret“ hat exakt diese Klangkultur und eine ähnliche Bandbreite, auch was Zerrgrad und –güte anbelangt. Er klingt offen und saftig, spritzig und dennoch voll wie rund, „boutiquig“, möchte ich sagen.
Ferner besagt die klangliche Nähe noch etwas Zweites: Dieser Verzerrer klingt zu keinem Zeitpunkt wie ein Verzerrer, sondern wie der jeweilige Amp, vor dem er hängt; dasselbe gilt fürs Spielgefühl. Und das ist die wahre Meisterleistung dieser Kiste: Sie verwandelt einen einkanaligen Röhrenverstärker in ein atmendes, unsagbar dynamisches Soundmonster, welches ungestüm und wuchtig, dabei aber hochgradig harmonisch und obertonreich, zu Werke geht! Ich habe bewusst das Wort „Mehrkanäler“ vermieden, denn von nun an sind – mit der Einschränkung von völlig cleanen Sounds – die Übergänge dank Volumen-Poti an der Gitarre sowie der eigenen Spieldynamik fließend.
Und dies nicht bloß am Fender und mit der Strat: Mit der Paula am Marshall geht ebenso die Sonne auf, wieder beeindruckt die Dynamik, die den Amp clean bereits stark aufwertet, es petergreent so green im Mittelfeld und auch Gary will immer Moore. Bei Vollauslastung steht das ultimative Brett zur Verfügung, der zakkig-wylde Obertonreichtum beschert ein Dauergrinsen, ebenso das Jahrhunderte lange Sustain, das ohne jegliche künstliche Note schon bei Zimmerlautstärke langsam und homogen ausklingt!
Führt man dem roten Baron mehr Volt zu, wird das Signal lauter und stabiler, ist „härter aufgehangen“, weniger weich und noch dynamischer.
Bei all dem Geschilderten ist unser süßes Geheimnis immer eher Overdrive denn Distortion, wenngleich es sowohl vom Gaingehalt als auch Obertonspektrum und Basstiefe her durchaus in der D-Liga auftrumpft. Dennoch ist er dem Zerrcharakter eines übersteuerten Röhrenamps näher, er sägt nicht, obgleich er ähnliche Frequenzanteile zum Tanz bittet. Diese Transparenz im Bass, diese Frische in den Höhen, die niemals grätzig wird und der gefühlte HiEnd-Compressor/Expander, der das Signal verdichtet, ohne es zu beengen– das ist schon ganz großes Breitwandkino, was hier geboten wird.
Zumal es mir irgendwann aufgefallen war, dass mir die ganze Zeit in Spielpausen nichts aufgefallen war. Weil eben nichts brummte, trotz Strat… das rote Geheimnis ist obendrein auch noch verschwiegen wie ein Grab, das Fehlen von Nebengeräuschen ist nahezu unheimlich.
So, jetzt mal im Ernst: Das Pedal haste Dir doch ausgedacht, oder? – Der Witz: Das gibt es wirklich! Und als es mir ähnlich vollmundig angepriesen wurde, dachte ich mir schon „…jaja, hör ich alles zum ersten Mal…“. Ich muss aber zu meiner Schande gestehen, dass ich mich gründlich getäuscht hatte, der immens musikalische„Red Secret“ hält, was er verspricht, unterstützt den Ton der Gitarre und des Amps 100% vorteilig und darf sich mit Fug und Recht „eierlegende Wollmilchsau“ nennen.
Und damit schließt sich der Kreis: Gepriesen und verflucht sei dieser Tag; ersteres ob der neuen Bekanntschaft, letzteres dem G.A.S.-Anfall geschuldet, der mich nun plagt und bitterböse hinterfragt, wofür zum Henker wir denn nun all die anderen bunten Zerr-Trampelkistchen haben (und wir haben VIELE dieser Büchsen!), wenn dieser Rotschopf doch alles abdeckt (naja, gescoopte Metalsounds und Fuzzzinierendes mal ausgenommen). Hätte ich niemals gedacht, jemals in solch eine Lobhudelei zu verfallen, aber der „Red Secret“ ist einfach ein geniales Stück Musik ohne Fehl und Tadel. Und wem der On/Off-Schalter fehlt, um z.B. weiterhin cleane Klänge realisieren oder andere lieb gewonnene Verzerrer ins Setup zu integrieren zu können, der packt die Kiste einfach in eine Loop.
Ende gut, alles gut? – Leider nicht wirklich, denn ich befürchte, ich werde das Aggregat bald wieder rausrücken müssen. Oder dürfte ich es wohl gegen niedere Frondienste erwerben…? – Um in den Besitz dieser Büchse der Pandora zu kommen, würde ich schon einiges tun… aber jetzt muss ich leider dringend weg, schnell zum Flughafen, nur mit rotem Handgepäck…